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"CIAO MATTEO, CIAO"

Schriftsteller und Journalist Wolfgang Weisgram widmete Matthias Sindelar schon vor Jahren einen biographischen Roman, der heute noch nach seinesgleichen sucht. Einer der prominentesten österreichischen Fußballer - wenn nicht der berühmteste überhaupt - kam heute vor 79 Jahren unter mysteriösen Umständen ums Leben.

„Herr Sindelar! Telefon für Sie!“

Der Herr Jaro ruft mit einer gewissen Süffisanz nach seinem Chef, der auf dem Billartisch gerade eine neue Versuchanordnung eingerichtet hat.

„Wer is es denn?“, will er wissen.„Sie wissen schon“, sagt der Herr Jaroslav.

Und Matthias Sindelar weiß tatsächlich. Was er freilich nicht weiß, ist, was er davon halten soll. Denn seit Tagen schon geht es so, dass Telefonanrufe dieser Art das Geschäftsleben im Café Sindelar durcheinanderbringen. Jedenfalls bringen sie den Chef durcheinander, das blieb auch dem Personal nicht ganz verborgen, und so lässt sich durchaus sagen, dass die Geschäfte solcherart gestört sind, was insgesamt – würde der Herr Jaro vielleicht sagen – wieder einmal ein Zeichen dafür wäre, dass mit den Weibern nicht gut Kirschen essen sei. Und da hätte er, wäre das jetzt laut ausgesprochen worden, auch dem Herrn Sindelar seinen Segen. Der hat ja unlängst – nein, nicht unlängst, vor ein paar Jahren schon – den schönen, in seiner Vielgliedrigkeit für ihn so untypischen Satz gesagt: „Es ist schon gut und schön, dass es Frauen gibt auf der Welt, aber sie sind doch nicht gar so wichtig, dass sie einen Mann auf seinem Weg aufhalten können.“

Jetzt mag es durchaus sein, dass der Matthias Sindelar das nicht wirklich so gesagt hat, obwohl es Leute gibt, die darauf schwören würden. Es mag sein, dass er im Ärger bloß gemurmelt hat: „Schön und gut, aber die Weiber san a net alles im Leben“, und der, der das gehört hat, hat das dann auf seine vertrackte Weise umformuliert. Aber andererseits muss man mit Fug davon ausgehen, dass der Sinn des Satzes – beider Sätze – dem Matthias Sindelar keineswegs fremd gewesen ist. Genauso aber muss man davon ausgehen, dass die Konsequenz dieses Satzes – beider Sätze – dem Matthias Sindelar keineswegs klar ist.

Es ist das genaue Gegenteil seines Spiels. Dort tat er und wusste nicht. Hier weiß er und tut nicht.

„Camilla?“, fragt er also jetzt in den Telefonhörer hinein. Und mancher, der das zufällig hört, wird es als ein beinahe devotes Säuseln auffassen. So, wie das der Herr Jaro tut, der aus purer Männersolidarität heraus denkt: „Die würd ich mir aber vorknöpfen.“

Genau dasselbe denkt im selben Moment Matthias Sindelar auch. Aber in einem ganz anderen, eher sehr übertragenem Sinn.

„Caro mio“, hört Matthias Sindelar den Telefonhörer sprechen, „kommst du heute?“ Natürlich kommt er heute. So ist es vereinbart. Darauf zielt der Tag ab. Darauf hat er den Tag abgestimmt oder der ihn. Und zwar so sehr, dass er selber schon ab und zu das Gefühl hat, es sei ein gar nicht von ihm selbst in Angriff genommener Tag. So sehr, dass er das Feiertagsgefühl auch gehabt hätte, wenn nicht Sonntag gewesen wäre, und mit dem Eintopfsonntag hat das sowieso nicht das Geringste zu tun.

„Naturalmente“, scherzt er also mit der Sprechmuschel des Telefons.

Die Hörmuschel schmatzt, und Matthias Sindelar hat den Eindruck, das Schmatzen sei bis zum Herrn Jaro zu hören, der, wie unbeteiligt, an der Theke lehnt und seinen Durchschauerblick routiniert durchs Lokal schweifen lässt, damit er ja rechtzeitig erkenne, ob einer schon zu lange mit gar nichts dasitze. Aber eben ja nicht früher. Oder gar aufgefordert werden könnte zu erkennen.

„Ich komm am Abend, Camilla“, spricht Matthias Sindelar gedämpft in die Sprechmuschel, „dann können wir auch reden, wenn du magst. Aber nicht nur.“ Matthias Sindelar kommt sich ein wenig vor, wie Flasche leer. Ein paar Mal schon hat er sich gefragt: „Was wollen diese Camilla?“, und als ihm die Antwort darauf dämmerte, verfiel er in einige Ratlosigkeit, in die er immer verfiel, wenn das wirkliche Leben ihn bedrängt. Eine Frau ist – „tut mir leid, Rudo, aber das ist so“ – kein Ball. Das hat er zu seinem Leidwesen schon erkennen müssen. Wäre eine Frau nämlich ein Ball, dann ginge ihm vieles weitaus leichter von der Hand.

„Ciao Matteo, ciao.“

„Ciao Camilla, ciao, ahoi.“

Es knackst in der Hörmuschel. Matthias Sindelar legt auf und schlendert, um sich blickend, zurück zum Billardtisch, wo der Hans etwas verloren dasteht. Verloren, aber doch fast wie ein Profi, den Queue forsch vor sich aufgestellt. „Magst noch a bisserl spielen?“, fragt er den Hans, der darauf angelegentlich nickt.

Wolfgang Weisgrams Roman "Im Inneren der Haut" erschien 2011 als Taschenbuch. Aus diesem wurde obiger Text entnommen.

 
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