KOMMUNIKATION AUF KOREANISCH
정 ist koreanisch, heißt "Jung", wird “tschong“ ausgesprochen und ist eines der wichtigsten Worte, wenn über Zusammenhalt und Kommunikation gesprochen wird. Es wäre zu einfach, 정 mit dem westlichen Konzept einer rationalen und notwendigen Zusammenarbeit gleichzusetzen. 정 geht tiefer, ist unwillkürlich und freiwillig.
Japan, USA, Italien, China, Kanada, Großbritannien, Russland, Brasilien, und nunmehr Südkorea: Dies sind die Länder, in denen ich bei Olympischen Spielen dabei war (und im Februar bin), und wenn ich zurückdenke an vergangene Zeiten, dann freue ich mich besonders darüber, mich auf die kulturelle Vielfalt der Gastgeberländer eingelassen zu haben.
Dass es mir in Turin in Italien am leichtesten fiel, liegt auf der Hand. Ich bin italienischer Staatsbürger (deutscher Muttersprache) und bin prinzipiell vertraut mit der Mentalität des Landes, mit der Denk- und Herangehensweise seiner Einwohner. Italiener können – entgegen aller Vorurteile – hart arbeiten, aber vor allem finden sie für alle Herausforderungen einen Lösungsansatz. Mag dieser auch lauten, auf dieses oder jenes nun doch zu verzichten, weil man auch ohne auskommen würde. Italiener sind phantasievoll, offenherzig, emphatisch. Italiener haben klare Regeln und wissen, dass man Regeln nicht brechen soll, aber immerhin dehnen kann.
Nun liegt es mir fern, Mentalitäten zu vergleichen oder gar zu bewerten. Viel eher möchte ich in diesen Zeilen den Wert der Kommunikation hervorheben, mit alledem, was dazugehört: offenes aufeinander Zugehen, verständnisvolles Zuhören, gemeinsames Erarbeiten der best(möglich)en Lösungen.
Immer dann, wenn ich in Organisationen anderer Sprach- oder Kulturkreise arbeite, benötige ich einige Tage, um die Menschen um mich herum zu verstehen: nicht auf der linguistischen – in 48 oder 96 Stunden lernt man bis auf ein paar Wortbrocken nicht chinesisch, russisch oder koreanisch -, sondern emotionalen Ebene. Kommunikation geschieht durch Sprache und Körpersprache gleichermaßen. Kommunikation ist geprägt von der Kultur des Landes und von der individuellen Erziehung eines jeden Einzelnen. So wird in Korea Kommunikation nicht nur dafür verwendet, um Diskussionen auszuräumen, sondern vorrangig, um ein angenehmes Klima zwischen allen Beteiligten zu schaffen. Wenn dafür notwendig, rückt der eine oder andere durchaus von seinem Standpunkt ab.
In Korea stellte ich während der ersten Tage viel zu viele Fragen und bemerkte erst dann, dass ich meine Teammitglieder in Verlegenheit gebracht hatte, weil sie nicht auf jede eine Antwort parat hatten. Ich streckte anfänglich die Hand zum europäischen Gruß aus ohne zu bedenken, dass ein Nicken oder eine Verbeugung angebrachter gewesen wäre. Und ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich diesbezüglich nicht besser vorbereitet nach PyeongChang gekommen war.
Es muss kein Zeichen von Überheblichkeit oder gar Präpotenz sein, wenn Dinge in einem anderen Kulturkreis falsch gemacht werden, eher Nachlässig- und Unaufmerksamkeit. Und dennoch: darf nicht geschehen. Wenn ich als Mitarbeiter einer Organisation in ein anderes Land berufen werde, sollte ich die Grundregeln des Miteinanderumgehens kennen. Die Frage, die ich mir selber stelle, werfe ich in die Runde: Lassen sich die Experten in den verschiedenen Bereichen, die für ein paar Wochen oder ein paar Monate von Event zu Event tingeln, genug auf die Gegebenheiten des Landes und der Menschen ein? Machen sie Erfahrungen, die sie mit nach Hause oder zur nächsten Arbeitsstelle nehmen? Oder ist es einfach nur ein Job, der Rechnungen zahlt und bei dem man sich über jene ärgert, die einem fremd sind und die einen nicht verstehen wollen?
Mir persönlich wäre es zu wenig, in knapp einem Monat zurück nach Österreich zu fliegen und lediglich die sportliche, berufliche Seite PyeongChangs erlebt zu haben. Reisen heißt, neue Dinge zu sehen und mit anderen Menschen zu sprechen, in ihre Gedanken, Wünsche und Träume einzutauchen, mit ihnen über ihre und meine Geschichte zu sprechen. Was weiß ich schon vom innerkoreanischen Konflikt und über das Verhältnis zwischen Korea und Japan? Und muss ich davon ausgehen, dass jeder Koreaner weiß, dass die Südtirol-Frage Anfang der 1970er Jahre in der UNO diskutiert wurde?
Ich erfuhr die Bedeutung des 정 und ich bin begeistert vom diesem Ausdrucks. Als ich in Turin 2006 arbeitete, war das gesamte Organisationsteam in Pragelato Plan (wo die Langlauf-Wettbewerbe ausgetragen wurden), eine verschworene Einheit. „Wir lösen unsere eventuellen Probleme nur hier und gleich und unter uns“, hatte Venue Manager Marco Aimo als Devise des Zusammenhalts ausgegeben. Mir fällt ein, wie wir, rund 30 Personen, verstreut auf verschiedene Wettkampforte, bei der Winter-Universiade 2013 in Italien innerhalb von wenigen Tagen zu einem Team zusammenwuchsen und wie zwischen uns blindes Verständnis und Vertrauen herrschte. Wenn ich an 정 denke, dann fällt mir Al Pacinos Rede aus „Any Given Sunday“ ein, in der er die Kraft des Teams beschwor.
In diesem Wort liegt so viel positive Kraft, so viel Zusammenhalt, dass ich „tschong“ bereits jetzt zu meinem persönlichen Wort der Spiele 2018 auserkoren habe. 정 ist wichtig für unsere Mannschaft, mit rund 50 Freiwilligen, während der Olympischen Spiele, besonders dann, wenn Dinge vielleicht nicht ganz rund laufen, und 정 soll auch wichtig bleiben für mich, wenn ich nach Europa zurückkehre, oder dorthin, wohin es mich beruflich verschlagen wird.