LESEN VON BÜCHERN UND VON ATHLETEN
Ultra-Cycling-Star Christoph Strasser bloggt hier auf SPORTS AFFAIRS. Dabei schreibt er über das Race Across America (RAAM) und die damit verbundenen Herausforderungen, und über neue Projekte. Über sein Leben also.
Einige fragen sich vielleicht, warum ich in letzter Zeit weniger von mir auf Facebook oder Instagram hören ließ und weniger aktiv war. Das hat mehrere gute Gründe!
Auf der einen Seite laufen die letzten Vorbereitungen für das RAAM auf Hochtouren, die wie jedes Jahr sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite habe ich gemeinsam mit Egon Theiner und seinem „egoth-Verlag“ ein sehr spannendes Projekt am Laufen: Wir schreiben an einem Buch über mich und meine Erlebnisse im „Weitradlfoan“, wie ich den Langstreckenradsport gern nenne. Das Buch wird kein Motivationsratgeber, sondern eine offene, ehrliche Autobiographie mit vielen Einblicken hinter die Kulissen des RAAM. Ich werde auch sehr viel Persönliches preisgeben, es liegt mir auch daran, meine Schwächen und Rückschläge genauer zu beleuchten – denn diese haben mich letztendlich dazu gebracht, immer wieder nach aufs Neue nach Verbesserungen zu suchen. Rückschläge lehren Demut und bewahren vor Höhenflügen, sie sind ein wesentlicher und wichtiger Faktor. Es wird also kein Buch einem Helden-Epos gleich, wie manch andere Sportlerbiografien, sondern ein authentischer Einblick hinter die Fassaden, die von den Medien aufgebaut werden und es wird ein Werk, das die Frage beleuchtet, wie man als „normaler“ Mensch „unvorstellbare“ Dinge erreichen kann.
Ein Buch zu schreiben ist eine wahrlich herausfordernde Tätigkeit. Ein wunderbarer Aspekt davon ist die Reflexion über das Erlebte. Man blickt aktiver und intensiver zurück auf Erlebnisse und Erfahrungen und frischt dabei die Lektionen, die es zu lernen galt, wieder auf.
So unangenehm diese negativen Erlebnisse im jeweiligen Moment auch waren, so wichtig sind mir meine Niederlagen und Rückschläge – weil ich weiß, dass sie mich geprägt und geformt und somit zu jener Person gemacht haben, die ich heute bin. Jeder Misserfolg ist eine Chance zur Verbesserung und eine Lernerfahrung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man sich dem Lernprozess stellt, seinen Stolz ablegt, sich seine Schwächen und Fehler eingesteht. Wer andere für sein Scheitern verantwortlich macht, die Fehler seinen Betreuern in die Schuhe schiebt, oder sich selbst für unfehlbar hält, wird zwar Erfahrungen sammeln, aber nicht daraus lernen.
Das Buch wird im Sommer mit einem aktuellen Bericht über das RAAM 2018 erscheinen, und wir werden in den nächsten Wochen ein paar erste Einblicke in unsere gemeinsame Arbeit geben.
Doch nun zurück zum aktuellen RAAM!
Das Training läuft hervorragend, ich fühle mich in starker Form und konnte meine Trainingsleistungen der letzten Jahre um ein paar Prozent steigern. Leider habe ich mein Potenzial beim 20 km langen Einzelzeitfahren beim Neusiedlersee-Radmarathon nicht gänzlich abrufen können, ich wurde Vierter mit 50 Sekunden Rückstand auf den Sieger. Aber drei Tage später gelang mir beim „Maizeitfahren“, einem Trainingsrennen mit Kollegen vom „Verein Veloblitz“ und „Tri Styria“ in Graz mit 408 Watt über 34 Minuten meine persönliche Bestleistung. Für das RAAM stimmt mich das sehr positiv, ich weiß natürlich, dass die körperliche Fitness nur ein Puzzlestück von vielen für ein erfolgreiches Ultra-Radrennen ist, wo noch so viele zusätzliche Faktoren ins Spiel kommen. Aber ich habe meine Hausaufgaben gemacht und die körperliche Basis für das große Ziel gelegt.
Besonders wichtig wird für das RAAM auch das Team sein, wir haben uns auf diesem Gebiet ebenfalls gut vorbereitet. Doktor Robert Url und Philipp Bergmann werden meine Crew rund um Teamchef Michael Kogler als Neulinge ergänzen, die weiteren acht Teammitglieder sind schon mehrfach RAAM-erprobt und -erfahren.Was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist: Als Einzelkämpfer werde ich es in einer Sportart wie dem Ultracycling nicht sehr weit bringen. Ebenso wenig, wenn ich mein eigenes Ego während dem Rennen nicht einem gemeinsamen Ziel unterordnen kann. Es gewinnt nicht derjenige, der körperlich am fittesten ist, auch nicht der mental Stärkste, sondern derjenige, bei dem alle drei Komponenten passen: Körper - Geist – Team.
Ein funktionierendes Team, das sich gegenseitig respektiert und unterstützt, ist das A und O einer „Operation RAAM“. Ich als Sportler muss mich in den sieben, acht Tagen unterordnen und die Kontrolle abgeben können. Ab einem gewissen Zeitpunkt beim RAAM ist man nicht mehr Herr der Lage, Übermüdung und Anstrengung fordern ihren Tribut. Dann noch mit dem Team zu diskutieren oder bockig zu sein wie ein kleines Kind, ist das kontraproduktivste, was man bei so einem Rennen als Sportler an den Tag legen kann. Ein Team, das sich im Vorfeld gut kennengelernt hat, vorbereitet ist auf solche Situationen und in dem gegenseitiger Respekt und Vertrauen herrschen, wird diese Herausforderungen meistern. Wenn ich es schaffe, den Weisungen meines Teams zu folgen, dann werde ich auch schneller den Kontinent durchqueren. Wenn meine einzige Aufgabe darin besteht, mich auf das Kurbeln zu konzentrieren, kann ich mein Potential zu einem Großteil ausschöpfen.
Ich höre immer wieder Geschichten von RAAM-Fahrern, die von ihren Erfahrungen berichten: „Ich hab mich für eine Pause entschlossen“, oder „Ich hab dann nach einem Cola verlangt um wach zu bleiben“. Bei solchen Berichten wird selten ein Sieger sprechen, sondern jemand, der nicht in der Lage ist, sich führen zu lassen. Ein Sieger wird sagen, dass ihm vom Team eine Pause verordnet wurde, dass sie als Team das Rennen gewonnen haben. Fahrer die immer in der Ich-Form sprechen, sagen unbewusst auch viel über ihr Teamgefüge aus.
Im Idealfall sollte es so sein, dass das Team den Athleten genau „lesen“ kann. Jede Veränderung der Mimik, Gestik oder Haltung am Rad ist für ein gutes, erfahrenes Team wie ein offenes Buch. Sie wissen dann, welche Maßnahmen notwendig sind, treiben einen voran oder setzen eine Pause an. Wenn diese Basis gegeben ist, Team und Fahrer sich darüber einig sind, was in einem Rennen geschehen soll und wer wann was entscheidet, dann gibt es keine Diskussionen während des Rennens. Dann entscheidet der Fahrer im besten Fall nur zwei Dinge: ob Schoko oder Vanille bei der Flüssignahrung gewünscht wird und ob er auf die Scheibe schaltet oder nicht.
Mein Team und ich sind bereit. Wir alle fiebern dem Start entgegen, der am 12. Juni, also in knapp einem Monat, über die Bühne geht.