MR. ARROGANT
Da denkt man, auf einem richtig guten Weg zu sein und sich im Trailrun auszukennen, und dann das: ein bisschen Regen, ein bisschen Matsch, ein schlechter Ernährungsplan und eine Endzeit, die rund eine Stunde über den Erwartungen liegt. Der Schwarzach Trail warf mich zwar nicht ab, aber er zeigte meine Grenzen auf.
VERGANGENHEIT. Es ist der 30. April, der Trailrun-Marathon in Innsbruck (42 km, 1400 Höhenmeter) ist Geschichte und ich schwebe auf Wolke sieben. Bin unter sechs Stunden geblieben, denke mir, dass aus mir tatsächlich ein guter Trail-Läufer geworden ist. Der Startplatz für das Lauffest in Schwarzach in Pongau ist bereits gebucht, euphorisch schreibe ich Organisator Fredl Zitzenbacher an, um nachzufragen, was die Innsbrucker Leistung für den Schwarzach Trail (47 km, 2600 Höhenmeter) bedeutet. „Brauche ich bei dir sieben Stunden oder siebeneinhalb?“ Unerfahrenheit, Euphorie, Arroganz in acht Worten. Zitzenbacher, freundlich, höflich, aufmunternd, wie es seine Art ist: „Na ja, ich würde eher an acht denken…"
GEGENWART. Frühstück um 4, Segen des Pfarrers von Schwarzach um 4.30, Start um 5. Es dämmert, und es geht stetig bergauf. Die Nacht davor hat es geregnet, der Untergrund ist nass oder feucht, jede Wurzel kann einen Sturz und ein DNF bedeuten. Vorbei am Goldegger See geht es zur ersten Labe, an der ich zwei Apfelscheiben zu mir nehme. Mein Laufrucksack ist voll mit Wasser und Riegeln, prinzipiell bin ich als Selbstversorger unterwegs. Die Wege steigen an, irgendwo müssen die vielen Höhenmeter ja gemacht werden. Richtung Gamskögel reißt der Hochnebel auf, ich blicke in einen sonnigen blauen Himmel - Gänsehaut pur. Doch so schön die Umgebung, so schwierig die Downhills. Matsch und Gatsch sind Hilfsausdrücke, teilweise fließen Bäche den Weg hinunter. Wo laufen, ohne nass zu werden?, fragt die Prinzessin in mir. Die Bemühungen, trocken zu bleiben, sind groß – und sinnlos. Im nächsten Morast sinke ich knöcheltief ein und schimpfe vor mich hin. Der Ärger macht dem mir eigenen Humor Platz. Der Fredl hätte diese Passagen schon mit einem Fön trocknen können, grinse ich. Auf 1921 m erwartet mich das Gipfelkreuz des Schneebergs als höchsten Punkt der Runde, bei Kilometer 31 die zweite Labe. Das Kuchenbuffet ist köstlich, „eigentlich müsste man den Lauf beenden und hier bleiben“, scherze ich. Sechs Stunden sind vergangen, und in 120 Minuten 16 Kilometer zurückzulegen könnte eng werden. Kein Problem, ermuntern mich die Helferinnen und Helfer, „auf dem Weg hinauf zum Hochglocker verlierst kaum mehr Zeit“. Kaum mehr Zeit?! Haben die mich verwechselt?! Ich benötige 45 Minuten für vier Kilometer und weiß, dass ich mein Ziel nicht erreichen werde. Die Organisation des Schwarzach-Trails ist mit einem Wort phantastisch. Die Strecke ist dreifach markiert, verlaufen schier unmöglich. Die Labestationen bieten reichhaltige Auswahl. Die „Starter-Sackerln“ enthalten Riegel und Schokolade, T-Shirts und Socken. Doch vor allem sind es die Menschen, die den Lauf zu einem unvergessenen Erlebnis machen lassen, freundlich, lächelnd, hilfsbereit, scherzend. Als ich am Hochegg ankomme, wo ein Kontrollpunkt eingerichtet ist, sage ich keuchend: „Immerhin habt ihr auch auf diesen Berg raufmüssen.“ Mein Scherz wird volley retourniert. „Ja, aber nur auf diesen.“ Bergab ist es an diesem 2. Juni 2018 für mich nicht leichter als bergauf. Am Hochglocker verabschiedet sich die Prinzessin in mir, ich laufe im Rinnsal, das den Wanderweg in Besitz genommen hat, Richtung Tal und Ziel. Nach der letzten Labe hole ich Fritz Tautermann aus St. Johann/Pongau ein, wir hatten uns schon Stunden zuvor kennen gelernt. Den letzten Kilometer bestreiten wir gemeinsam und stehen auch zu zweit unter dem Zielbogen, als 110. In 8:35:22. What a shame. Es fällt mir schwer, meine Gefühle einzuordnen. Einerseits bin ich überglücklich, einen der schönsten Trails Österreichs gelaufen und beendet zu haben, umgeben zu sein von vielen bekannten Gesichtern wie beispielsweise Thomas Hösel, Verena Schlager (Sechste über 84 km – Chapeau!), Stefan Teufner, Marianne Pfeiler-Opitz, Dauer-Marathonläufer Michael Haase, Alice Zenz (Dritte in der 84-km-Damenwertung!!!). Wie schön ist es auch, einige neue Lauffreundschaften gefunden zu haben. Bin ich zufrieden? Na ja. Es vergehen Tage, bis sich der letzte Frust über die nicht erreichte Zielzeit – sieben Stunden? siebeneinhalb? acht? – gelegt hat. Mit Werner Mairl, Freund und Mentor und Trailrunning-Vienna-Macher analysiere ich einige Aspekte des Rennens. „Das Kuchenbuffet hat dich gerettet“, sagt er. „Wenn du Drops und Riegel mit dir schleppst, dann solltest du sie auch nehmen. Du hast dich wahrscheinlich permanent an der Schwelle zu einem Hungerast befunden. Sei zufrieden, wie es gelaufen ist."
ZUKUNFT. In rund zehn Tagen steht der Stelvio-Marathon auf dem Programm, und im Lichte der gemachten Erfahrungen unterlasse ich es lieber, mir eine Zeitvorgabe zu setzen. Der Schwarzach Ultra hat mich nicht abgeworfen, aber meinen Blick wieder zurechtgerückt. Ich, ein guter Trail-Läufer? Das dauert noch…