RAAM. COUNTDOWN TO HERE WE GO.
Ultra-Cycling-Star Christoph Strasser bloggt hier auf SPORTS AFFAIRS. Dabei schreibt er über das Race Across America (RAAM) und die damit verbundenen Herausforderungen, und über neue Projekte. Über sein Leben also.
Borrego Springs, Kalifornien. Ich sitze am Pool unseres Motels und sehe völlig entspannt der Sonne beim Untergehen zu. Die Haut brennt vom Hitzetraining, die Muskeln sind müde, aber mein Kopf ist erstmals seit langem völlig frei und aufs Wesentliche konzentriert. Ich bin fokussiert auf das große Rennen: Das RAAM startet in fünf Tagen, also am 12.6.
Die letzten Wochen vor der Abreise waren wie jedes Jahr eine Nerven- und Geduldsprobe, neben dem intensiven Training wurde Sabine und mir einiges abverlangt. Das Material musste zusammengetragen werden, Details mit Sponsoren und Ausrüstern waren zu klären, die insgesamt 350 kg schwere Ausrüstung (Lautsprecher, Kabel, Mischpult, Werkzeugkiste, Reservematerial für Bike und Auto, Zusatzscheinwerfer, Trinkpulver, Bekleidung, Team-Bekleidung, Funkgeräte usw.) musste verpackt und auf die Betreuer aufgeteilt werden. Das Ganze wird dann immer noch durch Interview-Anfragen von Medien, die in letzter Minute eintrudeln, verkompliziert, bzw. gibt es auch das eine oder andere Lieferproblem von Ausrüstern, sodass manche Pakete gar nicht mehr eintreffen, sondern gleich direkt in die USA geschickt werden. So hatte ich beispielsweise heute die Freude, ein nagelneues Scheibenlaufrad von Specialized in den Händen zu halten, und gleich im Training zu testen. Fazit: nicht nur schnell, sondern auch sehr hübsch anzusehen!
Kurzum: Es war Vorbereitungsstress pur, aber es ist jetzt geschafft. Jetzt bin ich ruhig und völlig bei mir, mein Tagesablauf reduziert sich auf Radfahren, Essen und Schlafen.
Sehr froh war ich in dem Moment, als ich mit Max und Hausi (mein Trainer und mein Fotograf) in L.A. mit unserem Gepäck gut angekommen bin und alle Räder den Flug heil überstanden haben.
Es ist übrigens keine gute Idee, wenn man einen Koffer zu wenig abholt und beim Rausgehen aus dem Flughafen bemerkt, dass ein Gepäckstück fehlt. Nochmals hineingehen, kurz erklären und per Ticket und Pass belegen was passiert ist, den Koffer vom Band nehmen - das funktioniert nicht. Es heißt vielmehr: lange abwarten, den katastrophal schlechten (und koffeinfreien) amerikanischen Kaffee trinken und warten, bis der Koffer beim Lost & Found Schalter abgegeben wird. So kann man sich den Tag auch vertreiben, der eigentlich durch die schnelle und angenehme Flugreise noch lang sein hätte können.
Nach den ersten Besorgungen (Wertkarten-Handys für das Rennen, viel, viel Lebensmittel für hungrige Radfahrer) und einer Trainingsfahrt im an der Küste gelegenen Oceanside, dem Startort des RAAM, haben wir uns in meinem „Drittwohnsitz“ in Borrego Springs, einem kleinen und absolut ruhigen Ort in der kalifornischen Wüste, einquartiert. Der Sinn des Aufenthalts in einem scheinbar völlig lebensfeindlichen Gebiet ist mit einem Wort erklärt: Akklimatisation.
Umso heißer es in der Vorbereitungsphase, also in den letzten zehn Tagen vor dem Start ist, umso einfacher kann man die Hitze während der ersten beiden Renntage ertragen. Wobei "einfach" hier das falsche Wort ist, es geht viel mehr darum, den unvermeidlichen Leistungseinbruch bei diesen Temperaturen zu minimieren.
Bei der ersten Ausfahrt fühlte ich mich wie eine Rosine im Dörrautomaten: trockene und heiße Luft, permanent ausgetrockneter Mund, rauer Hals und zusammenklebende Lippen. Die heiße Luft wird einem wie aus einem Föhn ins Gesicht geblasen, der Puls steigt bei normaler Belastung nach ein bis zwei Stunden auf mindestens 20 Schläge über den gewohnten Wert. Nach bereits fünf Tagen geht der Pulsanstieg aber auf ein niedrigeres Level zurück, mittlerweile kann ich schon 200 Kilometer lange Einheiten mit leichten Intervallen fahren, die Gewöhnung an die Temperaturen ist also schon im Gange. Das ist ein gutes Zeichen, denn in den letzten Tagen gab es hier sogar eine Hitzewarnung, das Thermometer zeigte knackige 46° C an. Dagegen war es dann mit 39° C schon richtig „frisch“.
Die kommenden Tage werde ich mich noch mit Materialtests beschäftigen (Coolpads werden mir heuer helfen, indem sie direkt auf die Haut geklebt werden und den ganzen Organismus dadurch kühlen) und meine Ernährung schrittweise auf die beim RAAM verwendete Flüssignahrung „Ensure Plus“ umstellen. Die letzten drei Tage vor dem Start werde ich dann gar nichts mehr essen, sondern mich nur mehr flüssig ernähren. Das ist nötig, um den Verdauungstrakt auf die Wettkampf-Nahrung umzustellen, denn nur dann kann ich mich problemlos ausschließlich flüssig ernähren, womit ich auf die nötigen 12.000 Kalorien pro Tag komme, ohne Übelkeit oder Magenprobleme zu entwickeln.
Ich fühle mich bereit für die große Prüfung, ich habe meine Hausaufgaben gut und gewissenhaft erledigt. Der schwierigste Teil des RAAM ist bereits geschafft, die acht Monate des Trainings und der körperlichen Vorbereitung habe ich absolviert und bin gut in Form. Doch erreicht ist damit noch nichts, denn der wichtigste Teil des RAAM liegt noch vor mir: die 4940 Kilometer durch 12 Bundesstaaten der USA, die ich - wenn alles gut geht und das Wetter keine allzu großen Wechsel für uns bereithält - in acht Tagen schaffen möchte. Dazu brauche ich den nötigen Respekt vor der Distanz und mein eingespieltes und verläßliches Team, das am Wochenende in Los Angeles eintreffen wird.
Bis dahin wird das Training lockerer, die Ausfahrten werden kürzer, die Speicher werden gefüllt. Ich bin aber kein Freund des klassischen Taperings, bei dem in den letzten zwei Wochen vor dem Wettkampf hauptsächlich regeneriert wird. Ganz auf Radfahren verzichte ich nicht, ich will nicht aus meinem Rhythmus kommen, sondern gleich nach dem Start so bald wie möglich die volle Leistung abrufen können.