„WEIL DU ES KANNST, VERDIENST, WILLST!“
Christoph Strasser hat zum fünften Mal das Race Across America gewonnen, was ihn als Rekordsieger auf eine Stufe mit seinem Vorbild und Idol Jure Robic aus Slowenien stellt. Hier schreibt der Ultra-Radsportler über seinen Sport, seine Laufbahn, sein Leben.
Zieleinfahrt in Annapolis (alle Fotos (c) Lupi Spuma)
Das RAAM 2018 ist vorbei, und es hat 8 Tage, 1 Stunde, 23 Minuten gedauert. Dies ist einerseits richtig, so lange war ich zwischen Oceanside, CA, und Annapolis, MD, unterwegs – andererseits ist die Zeitangabe auch wieder falsch: Das diesjährige Race Across America hat für mich persönlich acht Monate gedauert. Herausfordernd und schwierig waren nicht (nur) die acht Tage des Rennens, sondern die Höhen und Tiefen in der Vorbereitung. Nur der tiefere Sinn am eigenen Tun, das Wissen um die Bedeutung des RAAM in meiner Lebensplanung, geben die Kraft, Tag für Tag stundenlang auf der Walze zu kurbeln. Mit einem neuen Trainer, Markus Kinzlbauer, an meiner Seite, kamen neue Anreize, neuer Ansporn, neue Motivation.
Dies ist auch meinem Teamchef Michael „Kougi“ Kogler nicht verborgen geblieben. Nach unserem Trainingslager im März in Zypern schrieb er mir folgende Nachricht:
Ich muss jetzt einmal was loswerden, was mir auf dem Herzen brennt. Ich bin kein Sportwissenschaftler, kein Watt-pro-Kilogramm-Radler, nicht einmal ein Radfahrer. Aber ich bin ich und ich sehe dich seit 13 Jahren strampeln – und so motiviert und so gierig auf Trainingseinheiten warst du das letzte Mal, als der Rainer Hochgatterer dir diktiert hat, was zu tun ist. Der Effekt, dass du wieder nach Vorgabe arbeiten musst und nicht nur so, wie es dich gerade freut, ist definitiv ersichtlich. Die Freude an der eigenen Schinderei, am „Quälen“ im Urlaub – das ist unglaublich, weil so viel Motivation dahinter steckt! Und genau deswegen ist es kein RAAM wie davor, genau deswegen ist es kein Alltagstrott. Es ist eine Freude am Tun, am Radeln, am Kämpfen. Dies zeichnet dich aus, nicht stehen bleiben, nicht rasten, sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern Gas geben, fighten, beißen. Und wenn ich mir deine Postings durchlese, dann bin ich wieder wie kurz vor dem Race Across America des vorigen Jahres. Ich will beißen, kämpfen, kratzen und das ganze Team, die ganze Operation so leiten, dass wir die Strecke – nicht die Gegner -, dermaßen dominieren, dass sich alle, ob Sportler, Konkurrenten, Zuschauer, nur so wundern. Wenn wir unterwegs sind, soll der Asphalt brennen vor lauter Geschwindigkeit. Es ist ja kein ganz neues Teams, das in diesem Jahr dabei ist. Ein paar sind erfahren, ein paar sind das erste Mal dabei. Aber wir alle wollen nur eins: 5!!!!! 5 Siege. In ein paar Wochen soll dein Name heißen: Christoph „fünffacher RAAM-Sieger“ Strasser. Der Strasser, dieser kleine Bub aus Kraubath, den keine Sau gekannt hat, der hat eine Szene erobert und hat als Einzelperson mehr Fans als ganze andere Sportarten zusammen! Der Strasser, der hat als kleiner Bub Spaß haben wollen an dem, was er gemacht hat, ist erwachsen geworden und hat es immer noch, und er reißt uns alle mit! Egal wer, egal wo – jeder aus deinem Betreuerteam ist dabei, und es geht uns allen um eines: um dich, um uns, um Leidenschaft, um Spaß, um Druck am Pedal, und vor allem um eine Zahl. Um die 5!!!!!
Die Vorbereitung ist in der Tat bestmöglich verlaufen und hat den Grundstein gelegt für einen souveränen Auftritt in den USA. Wir lagen von Anfang an in Führung, und wir verfolgten das Ziel, unter acht Tagen zu bleiben. Regen während der letzten 24 Stunden verlangsamte meine Fahrt, weswegen es sich nicht ausgegangen ist. Soll so sein, damit kann ich gut leben. Es war ein weitgehend problemloses RAAM, wenn man von den üblichen Begleiterscheinungen wie Schlafmangel und diversen Schmerzen, wie zum Beispiel am Gesäß, absieht. Doch auf das ist man im weiteste Sinne vorbereitet. Eine einzige echte Schreckminute gab es dann jedoch auch dieses Jahr.
Am vorletzten Tag, wir waren in den Appalachen, hörte ich ein Monster von hinten heranrasen. Wäre nicht genau in diesem Moment auch ein Truck entgegengekommen, hätte mich dies nicht so sehr beunruhigt. Aber ich wusste, dass den beiden Lastern kaum Platz zum Ausweichen blieb und es äußerst knapp für mich werden könnte. Ich befand mich in einer neunprozentigen Steigung und fuhr ganz außen auf der weißen Linie. Rechts von mir gab es nur mehr einen kleinen Graben, der in eine steile Böschung überging. Einmal nach links verwackeln, und der Truck erwischt mich, dachte ich mir. Das Dröhnen wurde lauter, ich trotz allem Schlafmangel immer konzentrierter. Ich hielt die Linie. Die Trucks zogen vorbei. Am Vorderrad ragten spitze Metallhülsen von den Schrauben, die die Felgen an den Bremsen befestigten und erinnerten an die Streitwagen der Antike. Die Ladung bestand aus schlecht gesicherten Autowrack-Teilen. Als der Laster vorbei war, wackelten die Motorhauben, Seitentüren, Stoßstangen auf der Ladefläche, und ihre spitzen Enden drohten zu kippen. Mir war schlecht, ich musste stehen bleiben.
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Ich hab dich lieb und denke an dich. Die Nervosität ist gut, aber schieb jetzt einmal alles weg, was momentan nicht mehr relevant ist vor dem Rennen. Wir kriegen alles hin, jetzt heißt es: RAAM! Die achte Teilnahme gibt dir die Chance, mit Jure Robic nach Siegen gleichzuziehen. Du kannst das. Du hast so viel investiert, ich hab so viel investiert, das Team investiert jetzt bis Annapolis so viel. Und am Ende wird das beim Erreichen von Annapolis geschehen sein, auf das du so hart hingearbeitet hast. Darauf liegt jetzt der Fokus, und nur darauf.Der Kellner auf Lanzarote hat es damals schon gesagt. Why not five? Wieso nicht! Weil du es kannst, verdienst und allem voran: willst!
Diese Zeilen schrieb mir meine Freundin Sabine kurz vor dem Start. Wer jetzt neugierig geworden ist, wer der Kellner in Lanzarote war und was es mit dem „Why not five?“ auf sich hat, den muss ich an dieser Stelle vertrösten. In wenigen Wochen erscheint meine Autobiographie „Der Weg ist weiter als das Ziel“. Dort gibt es die ganze Geschichte über das RAAM 2018.
Ach ja, vorbestellbar ist das Buch schon, nämlich hier: