NEUNTER BEIM UTMB: IMMER NOCH UNFASSBAR!
Es gibt Momente im Leben, die man nie vergessen wird: den ersten Kuss, den Hochzeitstag, die Geburt der Kinder. Oder: den ersten Großkunden. Oder: ein Top-Ten-Resultat beim Ultra-Trail du Mont Blanc (UTMB). Es sind ebendiese Momente, in denen noch so vernunftbezogene Personen, wie auch ich es bin, von Gefühlen überwältigt werden.
(c) David Wallmann
Beim UTMB gibt es eine Siegerehrung der besten Zehn. Drei Mal, 2013, 2015, 2017, stand ich in der Masse der Zuschauer und applaudierte der absoluten Weltspitze im Trailrunning. Die Konkurrenz um das Mont-Blanc-Massiv, 171 km lang, 10.000 Höhenmeter schwer, ist so etwas wie unser Olympischer Wettbewerb. Unter 24 Stunden zu bleiben ist grandios, unter den ersten zehn zu landen heroisch. Ich dachte nicht einmal im Traum daran, einmal selbst dort oben, auf dem Podest von Chamonix stehen zu können. Wer war und bin ich schon?! Ein guter, sehr guter österreichischer Teilnehmer. Noch nie war Österreich beim UTMB unter den ersten Zehn vertreten.
Es ist nunmehr einige Tage her, dass das Rennen meines Lebens Geschichte ist. Beim UTMB 2018 wurde ich in 23 Stunden, 12 Minuten, 3 Sekunden Neunter. Gänsehaut läuft mir über den Rücken. Neunter! Unfassbar. Unwirklich. Hoffentlich ist es nicht nur ein Traum, aus dem ich demnächst erwachen werde.
Um ein Spitzenresultat zu erzielen, das wird jeder Sportler bestätigen, müssen viele Dinge zueinanderpassen. Ich hatte die Vorbereitung umgestellt und weniger, dafür spezifischer trainiert. Ich hatte das Glück, auf der Strecke von Freunden, beispielsweise den Mozart-100-Organisatoren, unterstützt worden zu sein, sodass ich nicht die gesamte Verpflegung mit mir schleppen musste. Vielleicht profitierte ich auch von den harten meteorlogischen Bedingungen, die alle Läufer ans Limit brachten und zu einigen Rennaufgaben führten. Und dann war da noch das „did not finish“ von Superstar Killian Jornet, das mich sicherlich einen Platz nach oben hievte.
Doch ich will an dieser Stelle auch nicht in ein Understatement verfallen, ich habe den größten Teil zu diesem Sensationsergebnis beigetragen. Der UTMB war das Rennen meines Lebens, und ich hatte die beste Motivatorin, die man sich wünschen kann. Vor dem Verpflegungsposten Champex-Lac bei Kilometer 125 rief ich meine Frau Julia an, fragte sie, wie es unseren Kindern ginge und sagte ihr, dass ich das Rennen aufgeben würde. Zu diesem Zeitpunkt lag ich an neunter Stelle, aber meine Lebensgeister waren mir entwichen. So fertig wie in diesen Minuten hatte ich mich noch nie gefühlt. Wenn ich mich jetzt niedersetze oder niederlege, fürchtete ich, würde ich nie wieder aufstehen. Ich würde hier und jetzt sterben. „Sei kein Weichei“, antwortete mir meine Frau. „Selbstverständlich wirst du weiterlaufen.“
Ich gehorchte. Immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass es wirklich nicht mehr ging, stieß ich auf jemanden, der noch schlechter als ich drauf war. Und ich dachte an die Worte meiner Frau, keine Memme zu sein. An die letzten 30 Kilometer kann ich mich rückblickend kaum erinnern, ich lief wie in Trance. In Chamonix klatschte ich mit den Zuschauern ab, verbeugte mich vor ihnen und dankte für den Applaus, ehe ich in „Grasel-Style“ über die Ziellinie sprang. Ich sehe die Bilder, das Video, und denke mir: Wahnsinn, bin das wirklich ich?!
Vielleicht lehne ich mich ein wenig zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass ein österreichisches Top-Ten-Ergebnis beim UTMB so schnell nicht wieder erreichbar sein wird. Aber vielleicht spornt gerade dieser Satz die heimische Elite an, mich eines Besseren zu belehren.
Und dies ist meine Hoffnung für die Zukunft unseres Sports. Ich habe ein Zeichen gesetzt, habe aufgezeigt, was auch für uns Österreicher möglich und machbar ist. Je mehr relevante Ergebnisse wir erreichen, umso mehr wird unser Sport in den Augen der Öffentlichkeit wahrgenommen. Denn machen wir uns nichts vor: Auch was unsere Außendarstellung betrifft haben wir noch Aufholbedarf.
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