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DEAN KARNAZES: HÜTE DICH VOR DEM STUHL

Das Rezept klingt so einfach und ist doch so schwer. „Einen Ultra zu laufen ist leicht: Du darfst nur einfach nie stehen bleiben“. Klar, wenn man Dean Karnazes heißt, ist das wahrscheinlich wirklich leicht, denn der US-Amerikaner mit griechischen Wurzeln ist ein Extremsportler reinsten Wassers.

Wem der „Badwater Ultramarathon“ nichts sagt und wem das „Atacama Crossing“ fremd ist (beide Bewerbe hat er übrigens gewonnen), der kann Karnazes spätestens mit dieser plakativen und konkreten Ausdauerleistung endgültig einordnen: Der mittlerweile knapp 50-Jährige ist nämlich auch 560 Kilometer in 80 Stunden und 44 Minuten gelaufen. Am Stück. Das entspricht der Strecke von Los Angeles nach Las Vegas durchs Death Valley, oder nahezu die Entfernung von Wien nach Bregenz.

Warum wir laufen? Weil das Leben leicht ist, schreibt Bestseller-Autor Karnazes („Ultramarathon Man“) in seinem neuen Buch „Runner’s High – Mein Leben in Bewegung“ über seinen Antrieb. „Als ich an diesem Tag beim Bishop High Sierra den heißen, staubigen Trail hinunterlief, um Atem ringend und immer darauf bedacht, die harten Stöße jedes Schritts abzufedern, wurde mir klar, dass das hier für andere Menschen durchaus die irdische Version der Hölle sein könnte. Und doch liebte ich es. Es war heiß, elend, schmerzhaft – also eigentlich perfekt.“


Stehen bleiben, aufhören, es nie wieder tun – das sind für Karnazes keine Optionen, die er in Erwägung zieht. Er kann und will nicht aufhören, auch beim Bishop High Sierra nicht. „Hier draußen werde ich lebendiger, kann jede Bewegung meines Körpers spüren, das Schlagen meines Herzens hören. Ich lebe im Takt meines Atmens, meine Sinne sind geschärft und im Einklang mit den Rhythmen der Erde. Über große Strecken zu laufen ist ein Mittel, um mein Bewusstsein von der Modernität zu reinigen, meine äußere Hülle abzulegen und dem inneren Tier erlauben, sich hervorzuwagen. In meinem Läuferleben waren das die Augenblicke, in denen ich am klarsten sehen konnte, wie in mir alles zusammenkam und sich das Leben wieder echt und unverfälscht anfühlte.“


Und nach all den Ultras und Wettbewerben und Schmerzen kommt er zu einem Schluss. „Ich war in vielerlei Hinsicht älter, weiser und stärker geworden, ich hatte gelernt, nicht nur die guten Rennen zu lieben, sondern auch die schlechten. Heute erkenne ich, dass nicht Medaillen und Gürtelschnallen wichtig sind, sondern die Tatsache, dass du immer noch an der Startlinie erscheinst, immer noch weiterläufst, dich immer weiter anstrengst und dein Bestes gibst. Denn am Ende ist es das, was den Unterschied ausmacht. Dass du deinen Kurs beibehältst, dass du deinem eigentlichen Wesen treu geblieben bist. Dass du dein Bestes gegeben hast.“


Ach ja, einen zweiten wichtigen Rat, wie man einen Ultramarathon übersteht, gibt Karnazes natürlich auch noch mit auf den Weg. „Hüte dich vor dem Stuhl. Sich während eines Ultramarathons hinzusetzen kann zu einer Einbahnstraße werden, die steil abwärts führt. Es ist weitaus besser, jede Sitzgelegenheit zu ignorieren, sofern man nicht bereits völlig am Boden zerstört ist. Oder richtiger: ganz besonders dann, wenn man völlig am Boden zerstört ist.“



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